Nicht mehr die Menschen bewerben sich bei den Unternehmen, sondern die Unternehmen bei den Menschen – was heute schon in Ansätzen erkennbar ist, wird vermutlich früher Usus sein als manchen recht ist. Sowohl die Fach- und Führungskräfteknappheit als auch die veränderten Bedürfnisse der Generationen Y und Z machen Innovationen in der Mitarbeiterrekrutierung und -bindung unabdingbar. Doch wie kann man als Unternehmen im Bewerbungsprozess in Zukunft noch punkten? Dieser Frage gingen 30 Studierende im Rahmen meiner Lehrveranstaltung „Innovationskultur“ an der German Graduate School of Management and Law (GGS) nach und entwickelten mithilfe der Innovationsmethode Design Thinking zukunftsweisende Ideen für HR und Recruiting.
Lena ist 27 alt, lebt in Köln und ist eine studierte Betriebswirtin mit einem exzellentem Abschluss an einer renommierten Universität. Nach ihrem Auslandssemester in Neuseeland begann sie im Marketing eines deutschen Konzerns zu jobben, wo sie nach Abschluss ihres Studiums eine Festanstellung antrat. Lena ist ein lebensfroher Mensch, macht in ihrer Freizeit gerne Yoga, geht mit ihrer Beagle-Hündin „Fine“ spazieren und verbringt die Abende mit Freunden. Nach ihren ersten Berufsjahren möchte sie sich nun beruflich neu orientieren. Sie wünscht sich mehr im Team zu arbeiten und gerne darf es auch etwas kreativer zugehen. Das Gehalt ist ihr wichtig, doch noch ausschlaggebender ist für sie der Wohlfühlfaktor auf der Arbeit. Es soll sich nicht wie Arbeit anfühlen, das ist ihr Traum! Sie möchte nun ihren Traumjob finden, in einem Unternehmen, das sie wertschätzt und in dem sie ihre Fähigkeiten voll einbringen kann. Wie sie diesen Job finden soll, weiß sie noch nicht so genau. Aber allzu stressig darf es nicht sein. Auf einen Bewerbungsmarathon hat sie ganz sicher keine Lust!
Die „Skilled & Chilled Millennials“ als Zielgruppe
Kennen Sie auch eine Lena? Bei Lena handelt es sich um eine Persona, eine repräsentative Musterperson, die für eine spezifische, in sich relativ homogene Zielgruppe steht. Diese Zielgruppe könnte man im Falle von Lena als „Skilled & Chilled Millennials“ bezeichnen – eine Untergruppe der Generation Y, die sehr gut ausgebildet ist, Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance legt und nach Sinnhaftigkeit strebt. Die „Skilled & Chilled Millennials“ haben Studierende dazu inspiriert ein neuartiges Recruiting-Konzept zu entwickeln: „Lena lädt ein“. Bei „Lena lädt ein“ ist es nicht die potenzielle Mitarbeiterin (Lena), die zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird, sondern das Unternehmen, das sich bei der potenziellen Mitarbeiterin vorstellen darf. Wo und wie entscheidet Lena! Sie bestimmt, in welchem Kontext das Erstgespräch mit dem Vertreter von HR (und vielleicht auch mit ihre künftigen Vorgesetzten) stattfinden wird: bei einem Spaziergang mit ihrem Hund, in einem Café in ihrer Nachbarschaft oder in ihrer Küche auf einen Tee. Und Lena bestimmt, worüber in dem Vorstellungsgespräch gesprochen wird: sie moderiert den Inhalt und den Prozess.
Dank „Lena lädt ein“ bekommt das Unternehmen die Chance die potenzielle Mitarbeiterin in ihrem realen Lebenskontext kennenzulernen, was eine bessere Einschätzung von Einstellungen, Werten und Verhalten ermöglicht. Auch Art und Inhalt der Moderation des Bewerbungsprozesses durch die potenzielle Mitarbeiterin lassen auf Fähigkeiten und Kompetenzen der Person schließen. Auf der anderen Seite erfährt die Bewerberin eine maximale Wertschätzung dadurch, dass sich das Unternehmen auf ihre Lebenssituation einstellt und einlässt.
Wo Innovationen für Millennials ansetzen sollten
Kommt Ihnen das unrealistisch vor? Ist es nicht. Die Idee basiert auf real existierenden Bedürfnissen von Menschen, die sich beruflich neu orientieren möchten. Ein zentraler Bestandteil der Innovationsmethode Design Thinking ist das empathische Beobachten und Befragen der Zielgruppe, um herauszufinden, was die Menschen wirklich bewegt. In den Interviews mit Millennials auf der Jobsuche haben sich die folgenden drei zentralen Bedürfnisse herauskristallisiert:
Wertschätzung
Menschen, die auf der Suche nach einer neuen beruflichen Herausforderung sind, möchten sich in dem Bewerbungsprozess wertgeschätzt fühlen – und zwar unabhängig vom Ausgang des Prozesses. Von der ersten Kontaktaufnahme bis über die Zu- oder Absage hinaus gibt es den Wunsch, Wertschätzung für die eigene Person, das entgegengebrachte Interesse und den Aufwand für das Bewerbungsverfahren zu erfahren.
Usability
Wichtig sind den Bewerbern einfache, nahtlose Bewerbungsprozesse. Der zeitliche und finanzielle Aufwand für die Bewerbung muss so gering wie möglich sein. Die Stellenanzeigen sollten prägnant und aussagekräftig sein, so dass ein Fit leicht zu beurteilen ist. Das Übermitteln der Unterlagen darf keine großen Umwege erfordern und die Rückmeldung sollte möglichst wenig Zeit in Anspruch nehmen. Unternehmen, die mit ihrer Antwort lange auf sich warten lassen oder sich gar nicht melden, verlieren in den Augen der Bewerber an Reputation.
AuthentizitätBewerber möchten schon in der Rekrutierungsphase ein Gefühl dafür bekommen, wie das Arbeitsklima in dem Unternehmen tatsächlich ist. Wie fühlt sich ein Arbeitsalltag an? Wie kommuniziert man miteinander? Wie wird geführt? Wie ist die Stimmung wirklich? Allzu oft würde das „Blaue vom Himmel“ versprochen, was dann nicht eintrete, so der Tenor in manchen Interviews, daher wünsche man sich ein authentisches Bild von dem was einen in dem neuen Unternehmen erwartet.
Während „Lena lädt ein“ insbesondere auf das erstgenannte Bedürfnis abzielt, haben andere Teams im Zuge des Workshops Konzepte skizziert, die sich zum Ziel nehmen, die Jobsuche einfacher und angenehmer zu gestalten. Zwei Ideen etwa bauen auf einer Art Job-Tinder, welches das Matching zwischen Unternehmen und Bewerbern erleichtert. In dieser App werden der Person auf Jobsuche Stellen vorgeschlagen, die dann per „Swipe“ nach rechts („Ja, spannend!“) oder links („Nein, danke!) beurteilt werden. Findet auch das Unternehmen auf der anderen Seite den Bewerber oder die Bewerberin interessant, gibt es ein Match.
Die Idee des Teams „App-App“ geht über das Matching hinaus. Die „App-App“ ist ein One-Stop-Shop für die komplette Bewerbungsphase. Der Jobinteressierte bekommt Jobvorschläge über die App, bewirbt sich direkt über die App, in der alle Unterlagen hinterlegt sind, und erhält einen Überblick über den jeweiligen Status der Bewerbung (z.B. Einladung zum Vorstellungsgespräch, Jobangebot oder Absage). Die Kommunikation mit den Unternehmen inklusive der Einladungen, Zu- oder Absagen erfolgt natürlich auch über die „App-App“.
Neben diesen bewerberorientierten Ideen hat sich ein Team auch mit dem Talentmanagement bei mittelständischen Unternehmen auseinandergesetzt. Der Fachkräftemangel betrifft bekanntlich v.a. auch den Mittelstand und hierfür wurde ein Konzept entwickelt, wie einfacher Fach- und Führungskräfte aus dem Ausland angeworben und trainiert werden könnten. Auch diese Idee war konsequent nutzerorientiert entwickelt, eine Eigenheit des Design Thinking, die Innovationsprozesse in Unternehmen nicht nur kundenzentrierter und damit effektiver sondern – dank der positiven Wirkung auf die Zusammenarbeit im Unternehmen – auch effizienter macht (Schmiedgen et al. 2015).
P.S. Ihnen ist Design Thinking noch kein Begriff? Design Thinking ist ein strukturierter Kreativprozess, der das Ziel verfolgt, Innovationen ganz nah am Menschen zu entwickeln. Die Basis für die Ideenfindung im Design Thinking sind zentrale Bedürfnisse der Zielgruppe. Im Unterschied zur technologiezentrierten Innovation stellt die menschenzentrierte Innovation also die Kundenbedürfnisse an den Beginn des Innovationsprozesses und ermöglicht somit eine konsequente Customer Centricity in der Entwicklung und Gestaltung neuer Produkte, Dienstleistungen und Prozesse.
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Kurses „Innovationskultur“ im MSc für Technologie- und Innovationsmanagement an der German Graduate School of Management and Law (GGS). Bei Interesse und Rückfragen zu den Projekten stelle ich gerne den Kontakt zu den jeweiligen Studierenden-Teams her. Kontaktieren Sie mich bitte per Email unter mail@jessicadibella.de
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Literatur:
Amabile, T. M. (1997). Motivating creativity in organizations: on doing what you love and loving what you do. In: California Management Review, 40 (1), 39-58.
Di Bella, J. (2013). Artistic Freedom and the Shoal-Model of Intrapreneurship: Management Lessons in Innovation and Creativity Drawn from Fine Arts. Winner Essay Global Peter Drucker Challenge 2013.
Schmiedgen, J., Rhinow, H., Köppen, E. & Meinel, C. (2015). Parts Without a Whole – The Current State of Design Thinking Practice in Organizations. Hasso-Plattner-Institut an der Universität Potsdam. Online: https://idw-online.de/de/attachmentdata45603.pdf.
Schlagworte: #designthinking #recruiting #hr #newwork #generationy #innovation
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