Wie auch immer du dieses Etwas bezeichnen magst, das dich spüren lässt, dass du voll in deinem Element bist, und dass das was du tust absolut Sinn macht, es handelt sich dabei sicherlich um das zentralste Paradigma der Persönlichkeitsentwicklung. Kein Wunder, denn deine Passion steht am Anfang und Ende deiner Entfaltung. Sie ist ein Spiegel deines Lebenssinns und ein Motor deiner Lebensfreude. Es lohnt sich daher, sich auf die Suche nach dem zu machen, was dich im Kopf und im Herzen voll erfüllt und es lohnt sich, die von dir eingeschlagenen Wege im Beruflichen und Privaten immer wieder dahingehend zu überprüfen, ob sie deinem persönlichen Lebenszweck noch vollumfänglich dienen.
Die Suche nach der eigenen Berufung ist ein kreativer Prozess, der Wochen, Monate oder gar Jahre in Anspruch nehmen kann. Natürlich gibt es diese Wundermenschen, die schon als Kind ganz genau wissen, was sie später einmal werden möchten, und die ihr ganzes Leben daraufhin ausrichten, dieses Ziel auch zu erreichen, doch diese Menschen sind die Ausnahme. In meinem Leben begegne ich stattdessen viel mehr Menschen, die zwar im Außen einen ruhmreichen Job und ein reges Privatleben haben, aber im Innen damit nicht glücklich sind. Sei es, dass ihnen die Sinnhaftigkeit ihres Tuns fehlt (sehr oft ein Grund!), sei es, dass sie sich in ihrem Umfeld nicht ganz wohl fühlen oder sei es, dass sie sich persönlich nicht wirklich weiterentwickeln können. Seine Berufung nicht zu leben fühlt sich so an, als würde man in einem Ferrari mit angezogener Handbremse ziellos durch die 30er-Zone fahren. Irgendwas stimmt nicht, irgendwo stockt es und irgendwie weiß man auch nicht so ganz, wo es eigentlich hingehen soll. Dabei hat dieser Ferrari (= du) doch so viel Power und Potenzial. Manchmal vergessen wir, wie einzigartig wir eigentlich sind und wie wichtig dieses Eine ist, das wir in die Welt bringen können. Daher möchte ich dir drei einfache Fragen stellen. Beantworte sie ganz schnell, aus dem Bauch heraus, bevor sich dein Verstand (und damit deine Filter) einmischt.
Sinn: Kennst und lebst du deine Passion?
Authentizität: Kannst du in deinem Leben zu 100% du selbst sein?
Lebensfreude: Erfüllt dich der Weg, den du eingeschlagen hast wirklich-wirklich?
Wenn du nicht alle dieser Fragen mit einem klaren „Ja“ beantworten kannst, könnte es spannend für dich sein, weiterzulesen. Wenn du allen drei Punkten zustimmen kannst, ist das fantastisch und dann möchte ich dich dazu anregen, dein Wissen und deine Erfahrungen mit anderen zu teilen, um ihnen dabei zu helfen, ihre eigene Berufung zu finden.
Schritt 1: Zeitreise
Bevor wir uns auf die Suche nach dem machen können, was dir ermöglicht, dein Potenzial voll zu leben, müssen wir erstmal ein paar Steinbrocken aus deiner Vergangenheit beiseiteschaffen. Dazu machen wir einen Mini-Ausflug in deine Kindheit. Warum? Nun ja, es ist sicher einleuchtend, dass deine Erziehung und Erfahrungen in der Kindheit und Jugend nicht ganz unschuldig daran sind, wie du heute dastehst – im Guten und im Schlechten. Das liegt u.a. an den folgenden Punkten:
Rollenmodell: Eltern leben gewisse Berufsbilder vor, die auf Kinder, gerade in den ersten zehn Jahren ihrer Entwicklung, eine gewisse Vorbildfunktion ausübt.
Valenz: Eltern haben ihre eigenen Einstellungen zu bestimmten Lebensentwürfen, die sie als „angenehm“ und „unangenehm“ bewerten. Diese Bewertung beeinflusst die Einstellungsentwicklung bei Kindern.
Kontext: Kinder kommen gerade in den ersten Jahren automatisch nur mit einem gewissen Spektrum an beruflichen Möglichkeiten in Kontakt, und zwar zumeist mit dem, das im engeren Umfeld gelebt wird.
Förderung: Stärken und Potenziale werden von Eltern und vom Kind selbst primär vor dem Horizont der Kernfamilie und deren Umfeld evaluiert. Spezifische, „exotische“ Potenziale können dadurch unerkannt bleiben.
Zielvorstellungen: Eltern haben oft ihre eigenen Ideen, was die Zukunft ihrer Kinder betrifft („Natürlich wirst du unseren Betrieb übernehmen!“). Sprich Kinder wachsen oftmals mit einer Erwartungshaltung mit Blick auf die eigene Zukunft auf.
Genetik: Eltern geben ihre Gene an ihre Kinder weiter. Merkmale wie Intelligenz, Extraversion und Aktivitätsniveau sind zu über 50% erblich (Knopik et al., 2017). Diese Faktoren beeinflussen, wie Menschen Entscheidungen treffen und inwiefern sie ihre Passion explorieren und sich ggf. gegen etablierte Vorstellungen auflehnen.
Je näher deine originären Neigungen bei denen deines Elternhauses liegen, desto positiver dürfte sich der Einfluss deiner Eltern auf deine Entwicklung ausgeübt haben. In jedem Fall ist es für dich als erwachsener Mensch wichtig, den jeweiligen Effekt dieser sechs Einflussfaktoren auf dich zu reflektieren. Wenn du dir ein klares Bild von deiner Vergangenheit gemacht hast und für dich herausgefunden hast, was wirklich DU bist (vs. was die Erwartungen von anderen sind/waren), dann hast du den Weg frei geräumt für den nächsten Schritt – und der besteht darin, erstmal alles wieder zu vergessen.
Schritt 2: Amnesie
Nicht nur im Kindesalter können Blockaden entstehen, auch im Erwachsenenalter häufen sich innere und äußere Hindernisse an, die den Blick auf das Wesentliche verwehren können. (Über innere Blockaden und wie man sie überwindet, habe ich bereits mehrfach geschrieben. Dazu verlinke ich unten die relevanten Artikel.) Äußere Blockaden, die es einem Menschen schwer machen die eigene Passion zu finden oder zu leben, können Erwartungen von nahestehenden Personen, z.B. Lebenspartnern, oder auch finanzielle oder zeitliche Verpflichtungen sein. Vielleicht hast du einen statusbewussten Partner, der sich eher nicht damit wohlfühlen würde, wenn du die Richterbank mit der Schulbank tauscht? Vielleicht sind Kredite oder Unterhaltsverpflichtungen zu zahlen, die sich mit dem Gärtner- statt dem Gutachterberuf weniger gut vereinbaren ließen? Das sind valide Punkte, die es zu bedenken gilt, aber erst an sehr viel späterer Stelle. Wenn du dir schon während der Suche nach deiner Passion Gedanken machst, WIE du diesen und jenen Verpflichtungen nachkommen kannst, kommst du erst gar nicht in den kreativen Fluss. Konzentriere dich daher zunächst vollkommen auf das WAS. Vergiss für’s Erste all das was war und all das was ist. Sei eine große weiße Leinwand! Eine Leinwand mit solidem Fundament. Und diese Leinwand bemalen wir nun mit deinen ganz persönlichen Farben, mit den spezifischen Farben deiner Psyche.
Schritt 3: Kreation
Die Farben unserer Psyche lassen sich in drei Farbspektren aufteilen. Die Psychologie ist die Lehre vom Denken, Fühlen und Verhalten des Menschen. Ich spreche hier auch gerne von der „Dreifaltigkeit“ unseres Seins. Wenn wir also ein kohärentes, stimmiges Leben führen wollen, in dem wir in unserer Passion aufgehen und erblühen, ist es wichtig, diese drei Aspekte miteinander in Einklang zu bringen. In der Folge gebe ich dir daher ausgewählte Fragen für die Selbstreflexion oder für ein tiefes Gespräch mit einem Coach oder guten Freund. Diese Reflexionsfragen sind nur ein Anfang, können dir aber bereits wertvolle Hinweise dafür liefern, wo deine Passion liegt und wo dein authentischer Weg hinführt.
Kognition: Was sind deine Lieblingsgedanken? Mit welchen Themen beschäftigt sich dein Gehirn gerne? Bei welchen Themen verspürst du unbändige Neugierde? Worüber möchtest du mehr wissen? Für welche Überzeugungen und Themen stehst du? Was sind deine wichtigsten Werte? Wer inspiriert dich und warum? Für was möchtest du stehen? ...
Emotion: Welche Gefühle liegen dir? Welche Gefühle magst du an dir am liebsten? Was ist dein einzigartiger Gefühlscocktail, den du in die Welt bringst? Welche Emotionen machen dich aus? In welchem emotionalen Zustand möchtest du in deinem Leben am liebsten sein? Welche positiven Gefühle löst du bei anderen aus? Bei wem spürst du Bewunderung oder Neid? Wo fühlst du dich am wohlsten? ...
Verhalten: Was kannst du wirklich gut? Was möchtest du eigentlich wirklich gut können? Welche drei Verhaltensweisen sind typisch du? Was sagen andere Menschen über dich, was du wirklich gut kannst? Wo inspirierst du andere? Welche Aktivitäten machen dich glücklich? Wobei gerätst du in einen Flow? Welche Taten von dir bereichern das Leben von Menschen um dich herum? ...
Diese drei Themenfelder zu erforschen, hilft dir deiner Passion (wieder) auf die Spur zu kommen. Achtung: Du kannst dir hierbei ganz schön selbst im Weg stehen, v.a. wenn du innere Denk- und Gefühlsblockaden hast, die dich hindern, die Dinge und dich so zu sehen, wie es ist. An dieser Stelle macht es Sinn, sich Unterstützung zu holen. Das Gleiche gilt bei der Identifikation von Stärken: Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es äußert wertvoll sein kann, hier aktiv nach Feedback von außen zu suchen. Mit Anfang 20, als ich mich auf die Suche nach meiner Berufung begab, fragte ich meinen besten Freund Thorsten nach meiner größten Stärke. Da meinte er: „Du kannst unglaublich gut Leute motivieren!“ Das war so ein einfacher Satz, der für mich so viel verändert hat. Klar spürte ich auch vorher schon diesen starken Drive in mir, diese Energie. Aber sie war noch ungerichtet (erinnere dich an den ziellos umherfahrenden Ferrari). Ich verstand erst dann, dass ich dazu da war, Menschen dabei zu helfen, etwas in ihrem Leben zum Guten zu verändern. Daher begann ich, von der Beratung von Unternehmen auf die Beratung von Menschen umzuschwenken. Die beste Entscheidung in meinem Leben! Und auch hier gab und wird es sicher immer wieder ein „Finetuning“ in die ein oder andere Richtung geben.
Aber zurück zu deiner Leinwand. Jetzt gilt es auf Basis der Nuancen, konkrete Bilder zu entwerfen. Das passiert über ein klassisches Brainstorming. Ich kann dir auch in dieser Phase den Tipp geben, dich mit jemandem zusammenzutun und gemeinsam ganz wild nach Möglichkeiten zu suchen, in welcher Form du deine Interessen, Neigungen und Potenziale im Leben umsetzen kannst (z.B. neuer Job, neue Branche, Gründung eines eigenen Business oder eines Vereins, Ehrenamt, Zweitstudium). Generiert möglichst konkrete und möglichst viele Ideen. Diese Ideen bewertest du dann mit Punkten: Je mehr sie innerlich mit dir räsoniert, desto mehr Punkte bekommt eine Option. Achte auch hier darauf, dass du sehr schnell, also aus dem Bauch heraus, entscheidest. Nachdem du alle Möglichkeiten bewertet hast, wählst du deine Lieblingsidee aus. Erst jetzt kommt die Machbarkeit ins Spiel. Erst jetzt macht es Sinn, dass du – wiederum kreativ – darüber nachdenkst, WIE und wann du deine Passion in die Tat umsetzt.
Schritt 4: Aktion
Ich wiederhole es nochmal, da dies meiner Erfahrung nach der Punkt ist, wo sich die meisten Menschen selbst im Weg stehen bei der Suche nach der eigenen Berufung: Erst wenn du das WAS gefunden hast, solltest du dich auf den Pfad des WIE begeben. Viele Menschen kommen sonst erst gar nicht auf bestimmte Ideen oder schließen Optionen zu früh aus. Gründe gegen etwas Neues zu finden ist leicht. Aber du bist nun im vierten Schritt an dem Punkt angelangt, wo du diese Fallen überwunden hast und am Ende eines schöpferischen Prozesses herausgefunden hast, was dich (wahrscheinlich) wirklich-wirklich erfüllen wird. Jetzt geht es ans Testen, Planen und Umsetzen. Angenommen, du hast herausgefunden, dass dein Ding ist, Sporttherapeut zu werden. Dann gilt es erst einmal zu analysieren, was du dafür schon mitbringst und was du dafür noch brauchst. Hierfür würde ich dir eine Roadmap, also eine Art Projektplan, empfehlen, wo du die verschiedenen Schritte und Meilensteine in eine chronologische Zeitfolge bringst. Eine solche Roadmap erarbeite ich auch mit meinen Klient*innen und mache damit sehr gute Erfahrungen in Bezug auf die Umsetzungswahrscheinlichkeit.
Was auch immer dein Etwas ist, überlege, wie du möglichst schnell und realitätsnah herausfinden kannst, wie sich dein künftiges Leben anfühlen wird. Dieses Testen ist besonders wichtig, wenn du dir mit deiner Passion noch nicht ganz sicher bist und du verschiedene Optionen ausprobieren möchtest. Es ist fundamental wichtig, dass du direkt nach dem Entdecken ins Handeln kommst: das kann ein Praktikum sein, das können Seminare oder Kurse sein, das kann ein Ehrenamt in dem Zielumfeld sein. Eine Bekannte von mir etwa hat den Traum, ein Zero-Waste-Café zu eröffnen. Um ihr Konzept (und ihr eigenes Gefühl dabei) zu testen, hat sie an mehreren Terminen ein Pop-Up-Café in einem Yogazentrum veranstaltet. Ein Kommilitone von mir, der auch bereits einige Berufsjahre hinter sich hat, hat sich vor der Bewerbung für ein Studium in verschiedene Psychologievorlesungen gesetzt, um sich zu vergegenwärtigen, ob er auf der richtigen Spur ist. Testen bietet dir eine tolle Möglichkeit, Menschen in deinem potenziell neuen Umfeld kennenzulernen. Es erlaubt dir, zu experimentieren, dich in diesem Feld auszuprobieren und niedrigschwellig in dein neues, passioniertes Leben zu starten.
Die Exploration der eigenen Passion ist ein lebenslanger Prozess, der nie wirklich fertig ist. Du bist kein statisches Wesen, du machst Erfahrungen im Laufe deines Lebens, deine Werte, Einstellungen, Interessen und Rahmenbedingungen verändern sich unter Umständen. Dinge, die früher sehr viel Sinn für dich gemacht haben, tun dies in einer neuen Lebensphase vielleicht nicht mehr. Erlaube dir daher, dich immer wieder neu zu erfinden – egal in welchem Alter. Gerade, wenn du über eine längere Zeit hinweg nicht glücklich bist mit dem Weg, den du im Privaten oder Beruflichen gewählt hast, halte ich es für wichtig, sich essentielle Gedanken zu machen und ggf. eine neue Richtung einzuschlagen. Dich neu zu erfinden ist eine gute Chance, um immer mehr du selbst zu werden. Und wenn du darüber nachdenkst, einen neuen, authentischeren Weg einzuschlagen, denke daran, die Blockaden zu identifizieren und zu vergessen, dich frei und wild an die Erschaffung deiner Passion und deines neuen Ichs zu machen und die Transformation mutig und konsequent zu managen.
Ich wünsche ich dir eine spannende und kreative Suche nach deiner Passion – und viel Freude und Erfüllung dabei, wenn du sie lebst!
Jessica
Coaching:
Wenn du dir auf deinem Weg zu deiner Berufung fachkundige Begleitung in Form eines Coaching wünscht, melde dich gerne bei mir unter mail@jessicadibella.de.
Artikel:
Literatur:
Bock, P. (2005). Die Kunst seine Berufung zu finden. Fischer.
Knopik, V. S., Neiderhiser, J. M., Defries, J. C., & Plomin, R. (2017). Behavioral Genetics (7th Edition)., Worth Publishers.
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